MIN DIT KURDISCHER FILM
Der neue kurdische film Min Dit der in der Türkei Geschichte geschrieben hat. Der film wurde in der Hauptstadt der Kurden gedreht in Diyarbekir
Die Stadt
Der Film entstand komplett in Diyarbakir, wo er auch spielt. Seit den Tagen des Bürgerkriegs in den 90er Jahren ist die Stadt von 300.000 Einwohnern auf 1,5 Millionen angewachsen. Die unablässige Zuwanderung von Bürgerkriegsflüchtlingen hat die historische Kleinstadt in eine Metropole verwandelt.
Ich bin Ende 2005 von Berlin nach Diyarbakir gezogen, um dort einen Film zu drehen. Ich kam ohne eine vorgefaßte Geschichte dort an. Ich brauchte diese Unvoreingenommenheit, um mich auf die Stadt einzulassen. Denn sie entsprach überhaupt nicht dem Bild, das ich mir vorher von ihr gemacht hatte. Nicht etwa der Ausnahmezustand bestimmt das Straßenbild in Diyarbakir. Es ist eine Stadt, in der sich die Menschen einen Alltag geschaffen haben, der ihre Narben und Traumata außen vor lässt. Für viele von ihnen ist es scheinbar zur Normalität geworden, mit den Folgen politischer Gewalt zu leben.
Als indirekte Folgen des kriegsartigen Zustandes grassieren Drogenkonsum und Prostitution. Der Krieg hat die Menschen, wie die Protagonisten in meinem Film, ein für alle Mal aus ihrem vorherigen Leben herausgerissen. Aber er hat ihnen auch ihre Zukunft geraubt. Die Menschen erleben ihre Gegenwart als ein auswegloses Chaos ohne Chance auf Entwicklung. Dies gilt insbesondere für die Kinder. Dabei überrascht und fasziniert immer wieder der Wille, dieses Chaos aus eigener Kraft heraus umzugestalten.
Viele Familien bemühen sich nach Kräften, ihren Kindern eine Perspektive jenseits des grausamen Alltags zu bieten. Doch andere Familien sind psychisch so stark zerrüttet, dass sich quasi jeder zuerst um sich selbst kümmern muss. Mit Gewalt und Armut wächst auch der Individualismus. Die traditionellen sozialen Netze reißen. An ihre Stelle treten neue, dynamische, aber auch sehr ambivalente Organisationsformen, wie ich sie in meinem Film versucht habe darzustellen.
Die Geschichte
Nach wenigen Monaten Recherche wurde mir klar, dass es in dem Film um die Opfer staatlicher Morde in den Neunzigern gehen sollte. Ich begann, nach persönlichen Geschichten zu recherchieren, und machte gemeinsam mit meiner Co-Autorin Evrim Alatas einen Termin beim Menschenrechtsverein IHD. Dort wurde mir eine zwanzigjährige Frau vorgestellt, die ich zu meiner Überraschung bereits kannte. Zwei Tage zuvor hatte ich sie zufällig mit einer Gruppe anderer Jugendlicher in einem Straßencafé kennen gelernt. Über sich selbst hatte sie kaum gesprochen. Jetzt erzählte sie mir ihre bewegende Lebensgeschichte, aus der dann später die Hauptidee des Filmes entstand.
Zweifelsohne ist die Zahl der politischen Gewaltakte im Vergleich zu den 90er Jahren stark zurückgegangen. Das heißt aber nicht, dass eine solche dunkle Zeit nicht wiederkehren könnte. Solange das Geschehene nicht gesellschaftlich aufgearbeitet wird, kann die Gewalt jederzeit wieder eskalieren. Hätte diese Auseinandersetzung bereits stattgefunden, so hätte ich den Film für jeden erkennbar in den 90ern angesiedelt. So aber wollte ich den Zeitrahmen der Handlung unbestimmt lassen, damit die Geschichte ihre Allgemeingültigkeit behält.
Film und Fiktion
Alles, was ich in dem Film erzähle, hat in der ein oder anderen Form in Diyarbakir stattgefunden. Speziell der Überlebenskampf zweier Kinder, die ihre kleine Schwester verlieren, weil sie ganz ohne Unterstützung von Erwachsenen für sich selbst sorgen müssen, basiert auf wahren Begebenheiten. Alles, was Sie in dem Film sehen können, können Sie auch auf einem Spaziergang durch die Stadt sehen. Sie sehen im Film allerdings nur Bruchstücke der Realität, die sich im Wahren Leben viel härter gestaltet.
Anstelle epischer Fiktion wollte ich eine Collage dieser Splitter wirklichen Lebens montieren. Ich wollte eine Vielzahl von Themen ansprechen, ohne dabei allerdings einen Kompilationsfilm zu produzieren. Mir war es wichtig, eine Geschichte zu finden, die exemplarisch für alle stehen konnte.
Die Figur
Die Figur des Nuri Kaya ist nicht nur ein kaltblütiger Killer und Folterer, sondern auch ein liebevoller Familienvater. Wie ist es möglich, dass dieselbe Hand tagsüber Andere foltert und abends den eigenen Sohn zärtlich streichelt? Nuri Kaya zieht offensichtlich eine ideologische und moralische Rechtfertigung für sein Tun aus dem Handlungsauftrag, den ihm der Sicherheitsapparat erteilt hat. Er empfindet kein Schuldbewusstsein. Dies gilt für alle Länder, in denen es Bürgerkriege und ähnliche Konflikte gibt. Das Spezielle an der Situation in Diyarbakir war für mich, dass hier die Opfer und die Täter weiterhin miteinander leben.
Im Film findet Gulistan einen Umgang mit dieser Situation. Sie lässt sich von dem Märchen inspirieren, das ihre ermordete Mutter für sie aufgenommen hatte. In der Realität wird leider immer noch auf Gewalt mit Gewalt reagiert. Doch die Hauptfigur in meinem Film durchläuft einen schmerzhaften Prozess, an dessen Ende sie erkennt, dass es einen anderen Weg aus dieser Situation geben kann.
Ich habe mich bewusst dafür entschieden, die Geschichte aus der Sicht zweier Kinder zu erzählen, die mit ihrem subjektiven Erleben im Vordergrund stehen, statt gesellschaftspolitische Thesen zu formulieren. Trauma und Märchen
Das Märchen vom Wolf mit der Glocke ist uns durch die Werke des großen anatolischen Romanciers Yasar Kemal überliefert worden. Im Film wird es von der Mutter der Kinder auf Kurdisch erzählt und überlebt in Form einer Kassettenaufnahme ihren Tod. Das Märchen steht für mich für die traditionelle Weisheit, die seit Hunderten von Jahren mündlich überliefert worden und noch nicht verlorengegangen ist. Insofern steht das Märchen im Film auch für die Dinge, die nicht vom Krieg zerstört werden konnten. Es ist für die Kinder nicht nur eine beruhigende Stimme aus einer vergangenen Zeit, sondern vermittelt ihnen, wie ein böser Wolf gezähmt werden kann. Die Dorfbewohner im Märchen entschließen sich, ihn nicht zu töten, sondern ihn lieber durch eine Glocke weithin erkennbar als Wolf zu markieren.
Somit kann er keinem Lebewesen mehr ein Leid zufügen. Erst dieses Märchen ruft in Gulistan ein Bewusstsein wach, wie sie sich gegen die Gewalt von Außen wehren kann.
Gulistan ist bemüht, Näheres über den Mörder ihrer Eltern zu erfahren, nachdem sie ihm begegnet ist. Diese emotional sehr schwierige Annäherung zu drehen, war eine Herausforderung. Das Kind im Film hat den Wunsch, sich von dem Trauma zu lösen, von dem es getrieben wird, ist sich aber auch sehr bewusst, welche Konsequenzen die eigenen Taten haben.
Leben ohne Sprache
Ebenso wie die kurdische Gesellschaft ist auch MIN DÎT zweisprachig. Zuhause werden die Kinder auf Kurdisch erzogen, in der Schule müssen sie Türkisch sprechen. Auch der Vater arbeitet als Journalist bei einer türkischsprachigen, regimekritischen Zeitung. Die junge Dilan legt sich für ihre Sexarbeit einen türkischen Namen zu und kommuniziert mit ihren Freiern auf Türkisch, mit Gulistan aber auf Kurdisch.
Das Drehbuch für MIN DÎT habe ich ursprünglich auf Türkisch verfasst, da sich die meisten Beteiligten mit dieser Arbeitssprache gut zurechtfanden. Dann ließ ich es ins Kurdische übersetzen. Das Resultat war sehr weit von jenem Kurdisch entfernt, das die Kinder auf der Straße sprachen. Meine Aufgabe als Regisseur war es, mit den Kindern an den Dialogen zu arbeiten, bis sie zu ihrer eigenen Sprache fanden. Letztlich wurde dann deutlich, dass die Kinder viel selbstsicherer im schauspielerischen Ausdruck waren, wenn sie Kurdisch sprachen.
info Quelle : www.trailerseite.de
http://www.youtube.com/watch?v=wddsBaBCgXs